Ohne Haustiere Zivilisation undenkbar
Haustiere haben dem Homo sapiens zum Menschsein verholfen. Forscher belegen: Ohne Hunde, Katzen und Rinder gäbe es weder Zivilisation, noch höhere Intelligenz.
Diese wissenschaftliche Feststellung wird Vegetarier hart treffen. Aber die amerikanische Paläontologin Pat Shipman hat jetzt in ihrer Arbeit „The Animal Connection and Human Evolution“ einen Zusammenhang zwischen Mensch und Tier erklärt, den wir schon immer vor Augen hatten – zuerst dokumentiert vor mehreren Zehntausend Jahren, als die Frühmenschen auf Höhlenwänden zu zeichnen begannen.
Sie ritzten sich selbst in den Stein, und immer sind sie in Begleitung von Tieren. Der Mensch, das Tier – es ist schon eine Überlebens- und Schicksalsgemeinschaft gewesen, noch bevor der Mensch zum Menschen entwickelt war. Pat Shipman beweist nun eine naheliegende Vermutung – dass wir uns zum Homo sapiens nur aufschwingen konnten durch das Leben mit Tieren.
Wozu braucht der Mensch das Tier?
„Ganz einfach“, sagt die Paläontologin „Die Tiere haben uns zu Menschen gemacht.“ Die Abhängigkeit der Menschheit vom Tier sei keine Frage der Kultur, der Geografie oder der Religion. „Es ist ein universeller menschlicher Wesenszug, und zwar ein sehr nützlicher“, sagt Shipman, „denn die Tierwelt brachte unsere Vorfahren dazu, Sprache, Werkzeuge und Kultur zu entwickeln“.
Es waren die ersten Haustiere, so Shipmans Theorie, die dem Homo sapiens zum Menschsein verhalfen. Ohne Hunde, Katzen, Pferde, Rinder wäre die Entwicklung von Intelligenz und Zivilisation nicht denkbar gewesen. Demnach geht unsere Verbundenheit mit Tieren weit über Wurst, Käse und Kameradschaft hinaus. „Tierliebe ist die Kraft, die maßgeblich war für die weltweite Erfolgsstory der Menschheit“, sagt Shipman.
Der gemeinsame Weg begann vor mindestens 2,6 Millionen Jahren, als die Frühmenschen lernten, wilde Tiere zu jagen, als die ersten Steinwerkzeuge in den staubigen Landschaften Äthiopiens entstanden, grob in Form geklopfte Felssplitter, mit denen die Vorfahren der Menschen die Vorfahren der Ziegen zerlegten.
„Als Vegetarier hätten die frühen Menschen es nicht weit gebracht“,
sagt Shipman, „die Nährstoffe aus dem Fleisch brachten unser Gehirn auf Trab, das Fett hielt lange genug vor, um den Fleischessern Zeit zu verschaffen. Zeit, um mehr Werkzeuge herzustellen, mehr Nahrung zu finden, Zeit für Zwischenmenschlichkeiten, Zeit um zu lernen, Zeit, sich Gedanken zu machen, zum Beispiel darüber, was in den Köpfen anderer Lebewesen vorgeht.“
Während der großen Völkerwanderungen brachen die Frühmenschen von Afrika nach Europa und Asien auf – sie folgten den Herden. Damit unterschieden sich die frühen Zweibeiner noch nicht sonderlich von anderen Fleischfressern, von den geselligen Löwen, den gerissenen Hyänen.
„Doch in dieser Zeit begannen die Menschen, sich auszutauschen, Neuigkeiten und Tricks zu verraten“, sagt Shipman. Das brennendste Thema? „Tiere!“, sagt Shipman. Die Beweise dafür findet sie in den Malereien der Steinzeithöhlen. Erstaunlich selten ist darauf Zwischenmenschliches abgebildet, Zeremonien, Triumphe oder Rituale.
Auch Pflanzen sieht man kaum, Wasser, Landschaften – für all das fehlte den frühen Künstlern offenbar das Händchen. Stattdessen ist die Tierwelt in den Stein gekritzelt – lebendig, bunt, temperamentvoll, gefährlich.
Aus den Zeichnungen geht nicht nur die Prahlerei und der Stolz der Frühmenschen auf Jagd, Geschick und Glück hervor. Sie zeigen Tiere, die dem Menschen gehorchen. Die ihm nützen, ihm folgen, die er sich erzogen hat. Mit gezähmten, gezüchteten, gehaltenen Tieren begann der Mensch seine wichtigste, erfolgreichste Entwicklungsstufe.
Wann genau der erste Mensch zu sprechen begann, was er zu wem gesagt haben könnte, ist in der Paläontologie ein eher spekulatives als wissenschaftlich begründetes Kapitel. Dass es beim ersten, prähistorischen Gestammel um Tiere gegangen sein könnte, hält Pat Shipman allerdings für kaum bestreitbar. „Tiere sind kompliziert, verwirrend, aufregend, schwer zu begreifen, das hat die frühen Menschen dazu gebracht, die simple Signalsprache der Primaten-Verwandtschaft zu überwinden.“
Vor allem drei Tiere haben die Evolution der Menschheit geprägt: der Hund, die Katze, das Rind. Vom wilden Rind zur zahmen Kuh muss es ein langer, mühseliger Geduldsweg über Jahrhunderte gewesen sein. „Vermutlich dauerte es tausend Jahre, bis Rinder nicht mehr gezähmt werden mussten, sondern zahm geboren wurden“, sagt Norbert Benecke vom deutschen Archäologischen Institut in Berlin.
Die ersten Bauern konnten nicht wissen, dass sich aggressive, scheue Auerochsen im Laufe von Generationen in friedfertig-folgsame Nutztiere verwandeln würden. Auch bis zur Erkenntnis, dass Kühe Milch geben können, brauchte die Menschheit Jahrhunderte. Was vor allem daran lag, dass Milch nicht genießbar war. „Die ersten Bauern in Europa konnten die Milch ihrer Kühe nicht trinken“, sagt Joachim Burger Paläogenetiker aus Mainz. „Ihnen fehlte ein Enzym und damit die Fähigkeit, den Milchzucker zu verdauen.“
Aus Analysen menschlichen Erbguts geht hervor, dass die Milchzuckerverträglichkeit sich vermutlich erst rund 2000 Jahre nach der Geburt des ersten zahmen Rindes entwickelt hat – irgendwo im Mittleren Osten oder Südosteuropa.
„Es muss also am Anfang der Jungsteinzeit eine kleine Gruppe von Bauern gegeben haben, die Milch vertragen haben“, sagt Burger. Den Bauern, die dieses Gen besaßen, ging es gut: Ihre Kinder waren gesünder, überlebten leichter. Wenn die Ernte schlecht ausfiel, war immer noch ein verlässliches Lebensmittel zur Hand. Gemüsebauern wie Jäger konnten da nicht mithalten. Es war die Milch, die die Vorfahren vieler Europäer geprägt hat.
Gegen die wuchtigen Vorteile einer spendablen Kuh erscheint die Katze wie ein nutzloser Eindringling. Wie der Urmensch stammt die Katze aus Afrika, vor Tausenden Jahren jagte und spielte sie auf den Feldern des fruchtbaren Halbmonds – ein Gebiet von Ägypten bis zum Tigrisdelta.
Vor etwa 9000 Jahren kamen Katzen in der Gegend des heutigen Irak dahinter, dass es sich im Gefolge von Menschen gemütlich leben lässt. Die ersten Katzen, so wissen Forscher heute, machten sich in der Nähe von menschlichen Siedlungen nützlich: Sie beseitigten den Abfall, jagten Schädlinge und Vögel – und galten obendrein auch noch als Delikatesse.
Und der Hund?
Er ist das einzige Haustier, das nicht nützlich ist, sagen Naturhistoriker. Sie beschäftigt die Frage, warum der Mensch den Hund nicht nur hielt – er liebte ihn sogar. Die Erklärungen klingen erstaunlich banal: Es muss das Verlangen nach Wärme, Nähe gewesen sein, vielleicht die Faszination an diesem fremden, unberechenbaren Tier, dem Wolf. Wölfe sind gefährlich, Wölfe sind als Schlachttiere kaum zu gebrauchen – und fressen obendrein auch noch selbst Fleisch.
„Als Motiv für die Domestizierung ist der emotionale Gewinn am plausibelsten“, sagt Professor Jörg Schibler vom Institut für Prähistorische und Naturwissenschaftliche Archäologie, Universität Basel, „Um Hunde für die Jagd zu formen, braucht man eine lange, lange Zucht“, sagt Schibler. „Schwer vorstellbar, dass unsere Vorfahren dieses züchterische Verständnis aufgebracht haben.“
Vor etwa 100.000 Jahren holte sich der Mensch den Wolf an sein Feuer.
Er zähmte ihn, nutzte ihn. Zuerst als freundschaftlichen Begleiter, später als Zugtier, vielleicht auch zur Jagd. Aber immer waren es Wölfe. Erst sehr viel später begann die Zucht – mit jenen Tieren, die den Menschen durch ihre besondere Zutraulichkeit, Umgänglichkeit und Folgsamkeit auffielen. „Hunde sind gut fürs seelische Gleichgewicht des Menschen, weil sie Stress dämpfen“, sagt Professor James Serpell von der Universität von Pennsylvania.
Deshalb sei die Mensch-Tier-Beziehung heute immer noch so wichtig wie in grauer Vorzeit, sagt Shipman. „Der Umgang mit ihnen verschafft uns enorme physische und seelische Vorteile.“
In der Liebe zum Tier, so deutet es der Berliner Psychologe und Zoologe Jürgen Körner, versucht der Mensch, seine verlorene „Natürlichkeit“ zurückzugewinnen – und den paradiesischen Frieden der Bibel zurückzuträumen („Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten“).
Wir lieben auch nicht das Tier, sagt Körner, wir lieben die Bilder unserer Tiere. Wir glauben mehr an das, was wir in unseren Hunden sehen möchten als an ihre wirkliche Natur. Weil unsere Liebe zum Hund die Grenze zwischen Mensch und Tier nicht so ohne Weiteres überspringen kann, vermenscheln wir das Tier. Beim tiefen Blick in die treuen, braunen Augen eines Hundes empfindet der Mensch mehr und tiefer entgegenkommendes Verständnis als beim stubenrein gezähmten Wolf.
Im Umgang mit Tieren, besonders bei ihrer Führung, hat der Mensch seine soziale Intelligenz geschult, in großen Teilen sogar erst entwickelt.
Aber es ist von Anfang an ein ungerechtes Verhältnis gewesen. Das Tier an der Seite des Menschen habe viel zu wenig davon gehabt, sagt Gerhard Staguhn.
Der Berliner Autor kritisiert in seinem Buch „Tierliebe“ eine tief gestörte, egoistische Beziehung des Menschen zur Kreatur: „In seiner Unmenschlichkeit ist der Mensch ganz und gar menschlich.“